07 Mrz 2017

Vor dem Scherbenhaufen der eigenen Ideen: Bleib offen und selbstbestimmt!

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Vor dem Scherbenhaufen der eigenen Ideen: Bleib offen und selbstbestimmt! (von Karen Christine Angermayer)
  
„Ich fühle mich ganz zerbrochen. Ich weiß nicht mehr, wo ich anfangen soll. Ich stehe vor einem Scherbenhaufen meiner Ideen und weiß einfach nicht mehr, wie ich weitermachen soll!“, erzählt mir die junge Frau am Telefon bei unserem Erstgespräch vor einigen Tagen.

Die junge Frau, nennen wir sie Melanie, will ein Drehbuch schreiben. Sie hat sich coachen lassen, war in unzähligen Seminaren – und ist jetzt völlig verwirrt. „Am Schluss hat mir mein weiblicher Coach nur noch gesagt: „Wenn Du es nicht so machst, geht gar nichts!“, sagt Melanie. „Jetzt weiß ich überhaupt nicht mehr weiter.“
 
Autsch, denke ich. Denn mit Bemerkungen wie „so oder gar nicht“ war ich persönlich in den 17 Jahren meines Trainer- und Coachingdaseins immer sehr vorsichtig. Genauer gesagt sind sie mir nie über die Lippen gekommen. Es gibt nie nur die eine Lösung.
 
Klar, es gibt Strukturen, wie man ein Exposé aufbereiten sollte, damit es von einem Verlag gerne gelesen wird und ihm eine klare Entscheidungsgrundlage für oder gegen ein Buch bietet. Und doch habe ich schon viele Exposés gelesen, die waren textlich super-feingeschliffen, hatten aber überhaupt keine Kraft. Andere Autoren haben mir in einer E-Mail in wenigen Sätzen ihre Buch-Idee geschildert, und ich war sofort Feuer und Flamme. Weil ich den Herzschlag spürte, die ihre Geschichte hat, und ihre eigene Begeisterung fürs Schreiben.
 
Mit Menschen wie Melanie habe ich in den letzten 17 Jahren oft gesprochen, und ich weiß genau, wie sie sich fühlt:

Autor sein ist zunächst eine einsame Sache. Man sitzt vor dem Bildschirm und schreibt vor sich hin. Später kommen dann andere Meinungen hinzu: Die von Seminarleitern, Coaches, Lektoren, Verlegern, im Filmbereich von Produzenten, Regisseuren, Redakteuren … Spätestens dann, wenn ein Vertrag unterschrieben ist, wird Schreiben zum Teamwork.
 
Ab dann heißt es: achtsam sein. Denn dann liegt die Verführung besonders nahe, es als Autor all diesen Menschen Recht machen zu wollen. Ich selbst habe die Erfahrung vor vielen Jahren gemacht, als ich an einem Drehbuch für eine Teenie-Komödie für einen großen deutschen TV-Sender schrieb.
 
Ich drehte und drehte mich im Kreis, machte immer wieder alle Wünsche möglich, was oft gar nicht so einfach war – und am Schluss bekam ich die Antwort: „Wir machen die Geschichte doch nicht. Sie ist über-entwickelt.“
 
Kein Wunder, denn die Geschichte hatte über die Zeit, die sie immer wieder Durch den Fleischwolf gedreht wurde, total an Kraft verloren. Ein ganzes Jahr hatte ich daran gearbeitet. Nicht täglich 8 Stunden, doch immerhin kontinuierlich und sehr intensiv. Ich hätte in der Zeit Geld verdienen können.
 
Ich möchte dich heute zu zwei Dingen ermutigen:

1. Sei offen für kritisches Feedback. Hole dir den Blick anderer ein, um zu schauen, wie Dein Buch oder Deine Idee wirkt. Kritik ist gut, wenn sie das Beste für Deine Geschichte will. Es gibt dramaturgische Kniffe, die eine Story einfach besser machen. Es gibt „echte Konflikte“ – und es gibt Konstellationen in einem Roman, die sich nur nach Konflikt anfühlen, aber keine richtige Geschichte ergeben. Keine, die Deine Leser oder Zuschauer wirklich erfüllt. Es gibt Ideen, die taugen für eine witzige Szene – aber nicht für ein ganzes Buch. Hol Dir Hilfe, wenn Du allein nicht weiterkommst. Nimm das Feedback auf, das Du von Lektoren oder Produzenten bekommst.

Doch, und jetzt kommt Punkt 2: Bleib bei deinem Gefühl. Vertrau dir und dem, was Du sagen willst. Das sage ich in jedem Erstgespräch zu jedem Autor, jeder Autorin, die ich coache, ganz laut und deutlich: Bleib bei deinem Gefühl. Erinnere dich immer wieder daran, warum Du diese Geschichte gestartet hast. Was war er Ur-Impuls? Was war ihr Herzschlag? Warum willst Du dieses Buch schreiben?
 
Ich persönlich halte auch nie an einem bestimmten Medium fest: Vielleicht ist ein Buch gar nicht das optimale Medium für dich? Vielleicht ist es ein Film, ein Song, ein Gedicht? Wodurch drückt sich deine Geschichte am besten aus?
 
Sei also offen für das, was dich weiterbringt. Verfeinere dein Handwerk stetig. Doch lass dich auch nicht beirren und zu sehr beeinflussen. Folge deinem Weg. Geh beharrlich weiter, egal, was die anderen sagen.
 
Manchmal bist Du auch einfach noch nicht beim richtigen Verlag oder der richtigen Filmproduktion gelandet. Such nach den Menschen, die dir wohlwollend begegnen, die am gleichen Strang ziehen, die gleichen Ziele haben wie Du. Schreib, schreib, schreib. An guten wie an schlechten Tagen. Folge immer deinem Gefühl.
 
Ich sage zu Melanie: „Wissen Sie, manchmal ist ein Scherbenhaufen auch ganz gut.“
„Wirklich?“, fragt sie ungläubig.

„Ja“, sage ich. „Manchmal kann es sehr heilsam sein, wenn die eigenen Ideen alle mal vor einem liegen und man kann sie einzeln aufheben und betrachten – und dann entscheiden, welche Idee man wirklich noch weiterverfolgen möchte. Mein Vorschlag: Wir machen das gemeinsam. Wir schauen uns alle Ihre Ideen an, und Sie entscheiden, auf welche Idee Sie die meiste Lust haben. Und dann helfe ich Ihnen, dass Sie sie aufs Papier bringen. Gut?“

Melanie ist begeistert und total erleichtert. „Ich bin so froh, dass ich Sie gefunden habe! Ich freue mich total auf Freitag.“ Freitag ist unser erster Termin. Ich freue mich auch. Und ich bin mir sicher, in dem, was sich im Moment noch für Melanie wie ein Scherbenhaufen anfühlt, liegt etwas richtig Schönes verborgen.

Gestern Abend im Flugzeug habe ich das hier für Dich gesehen und gleich fotografiert. Für mich ist es das Sinnbild fürs Schreiben: Flieg frei über den Wolken, lass Deine Ideen unendlich sein. Und sei Dir gleichzeitig bewusst, dass Du das Steuerrad in der Hand hältst. Du als Autorin und Autor bist der Pilot, der uns sicher durch die Geschichte navigiert und weiß, was sich unter den Wolken verbirgt. Und hinterm Horizont. Zeig uns deine Welt!

 

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